Sentiero della Pace: Auf alten Kriegspfaden durch die Alpen

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Der Sentiero della Pace führt auf knapp 700 km vom Vinschgau bis in die Dolomiten. Ein etwas anderer Fernwanderweg auf den Spuren des Kriegs in den Alpen. Ein Gastbeitrag von Etappen-Wandern.de

Sentiero della Pace: Auf alten Kriegspfaden durch die Alpen © Etappen-Wandern.de
Sentiero della Pace: Auf alten Kriegspfaden durch die Alpen © Etappen-Wandern.de

Als ich nach acht Wochen Wanderschaft schließlich an der Kirche in Sexten (Südtirol) stehe, fühlt sich das komisch an. Da ist einerseits Erleichterung. Dieses zufriedene Gefühl, das sich breit macht, wenn man trotz aller Strapazen, Schwierigkeiten und gefährlichen Momenten sein Ziel wohlbehalten erreicht hat. Da ist anderseits aber auch immer noch diese Unbegreiflichkeit.

Acht Wochen auf dem Friedensweg

Diese Fassungslosigkeit über einen Krieg, der sich auf Skiern, an Kletterseilen, in steilen Felswänden und im Bauch von Gletschern abgespielt hat und an dessen Ruinen ich so oft vorbeigewandert bin. Und dann ist da noch eine tiefe Traurigkeit. Wehmut darüber, dass diese besondere Zeit mit diesem letzten Schritt vorbei sein soll. Diese unbeschreibliche Zeit, die ich auf dem Sentiero della Pace (dt. = Friedensweg) 670 Kilometer, 80.000 Höhenmeter und acht Wochen lang verbringen durfte. 

Ich kann mich auch noch ganz genau an den ersten Schritt erinnern, den ich auf diesen Fernwanderweg gesetzt habe. Mein Rucksack fühlte sich schwer an, aber noch schwerer wog mein mentaler Rucksack, den ich mit mir herumtrug. Was würde mich auf diesem Weg, für den ich fast ein dreiviertel Jahr gebraucht habe, um seinen Verlauf zu rekonstruieren, erwarten? Welche Begegnungen würde ich machen, welche davon würden mich verändern? Heute weiß ich, es waren sehr viel weniger als gedacht.

Denn der Sentiero della Pace ist ein einsamer, alpiner Höhenweg, auf dem man über weite Strecken mehr Steinböcke und Gämsen trifft, als andere Wanderer. 

Wider dem Vergessen

Woran ich mich heute allerdings nicht mehr erinnern kann ist, warum mich dieser Weg so gefesselt hat, dass ich ihn unbedingt gehen musste. Also klar, ich weiß noch genau, dass ich am Gardasee beim Wandern über die Wegmarkierung gestolpert bin. Zuhause angekommen las ich, dass der Sentiero della Pace schon ein über 30 Jahre alter Erinnerungsweg ist. Er verbindet Kriegspfade miteinander, die unsere Urgroßväter im 1. Weltkrieg erschufen, und führt entlang der Frontline des 1. Weltkriegs.

Wahrscheinlich faszinierte mich allein die Tatsache, dass es kaum etwas zu lesen gab über den Weg, sowie die Geschichte des Alpenkrieges. Gefechte auf über 3.692 Metern, ein Schützengraben mit Geschütz auf 3.905 Metern (Ortler), eine Stadt im Eis auf 3.343 Metern (Marmolada), ich hatte das Bedürfnis diese Zahlen irgendwie zu begreifen. 

Anders als andere Höhenwege

Während die meisten anderen Höhenwege in den Alpen oftmals die effektivste Route wählen, um von A nach B zu leiten, führt der Sentiero della Pace hingegen nicht an den Gipfeln vorbei, sondern oftmals hinauf. Denn auf dem Gipfel lagen die meisten Stellungen. Im unwegsamen Gelände ließen sich die Gipfel nicht nur mit wenigen Mann effektiv verteidigen, sondern sie boten auch perfekte Aussichtspunkte – früher wie heute.

Über 30 Gipfel und hohe Pässe bezwingt man auf den Sentiero della Pace, selbstredend mit spektakulären Aussichten. Ich wanderte direkt durch alte Schützengräben, krabbelte in Schießscharten und Maschinengewehrstellungen, kletterte durch halb-weggesprengte Berge und erkundete alte Festungswerke mit der Taschenlampe. Das war pures Abenteuer. 

Ein Krieg in den Bergen

Doch noch beeindruckender ist, wenn man sich dabei vorstellt, wie es vor über hundert Jahren hier zugegangen sein muss: Österreich-Ungarische Kaiserschützen und italienische Alpini lieferten sich unerbittliche Kämpfe, rangen um Gipfel, sprengten ganze Berge mitsamt Gegnern in die Luft.

Sie kämpften aber vor allem gegen einen gemeinsamen Feind: die Witterung im Hochgebirge. Schneehöhen bis zu 9 Metern, Temperaturen bis minus 40 Grad, Stürme und Gewitter sowie unzählige Lawinen kosteten im Alpenkrieg mehr Menschen das Leben, als die eigentlichen Kampfhandlungen. Bei einem Wettersturz am Grat in den Gardaseebergen, bekomme ich eine leise Ahnung davon.

Gegensätzliche Natur

Doch so grauenhaft die Vorstellung der Vergangenheit ist, der Sentiero della Pace spendet zugleich soviel Freude, Zuversicht und Natur wie ich es vorher noch nicht erleben durfte. Er führte mich von den großen Gletschern und schroffen Bergen der Ortler- und Adamello-Presanella-Alpen hinab in die mediterranen Gardaseeberge und hinüber in die bizarren Vizentiner Alpen. In den Fleimstaler Alpen laufe ich durch liebliche Naturparks und ausgedehnte Wälder und ende die letzten neun Tage in den imposanten Dolomiten. Ich bin von der unberührten Landschaft ebenso ergriffen wie von der Geschichte. 

Anspruchsvoll & einsam

Hohe Gipfel © Etappen-Wandern.de
Hohe Gipfel © Etappen-Wandern.de

Nicht jeder Abschnitt auf dem Weg wird sich für jeden eignen. Dazu ist er zu alpin und passiert regelmäßig vor allem zu Beginn die 3.000er-Marke. Aber es gibt auch die einfachen Abschnitte, die statt hochalpiner Landschaften dafür umso mehr Geschichte liefern.

Mir ist tatsächlich nicht ein einziges Mal langweilig auf dem Sentiero della Pace gewesen. An Tagen, wo die Motivation eher bescheiden daherkam, haben mich die Aussichten, die abwechslungsreiche Wegführung und die Tierbegegnungen über den Tag getragen. Ich würde den Weg sofort – und schon nach einem Jahr – wieder gehen. 

Der Friedensweg erfordert vom Wanderer vor allem eines: eine gute Kondition. Auf etwa 45 Etappen mit durchschnittlich fast 2.000 Höhenmetern am Tag (Auf- und Abstieg), ist er anspruchsvoll. Aber die Kondition erarbeitet man sich zwangsläufig auf dem Weg. Es ist ein Bergwanderweg, der ohne Klettersteig und Gletscherkontakt begangen werden kann. Neben guter Kondition benötigt man für den Weg Trittsicherheit und Orientierungssinn. 

Buch „Sentiero della Pace – vom Vinschgau in die Dolomiten

Sentiero della Pace im Rother Verlag © Rother
Sentiero della Pace im Rother Verlag © Rother

Mir war von Anfang an klar, dass ich einen kleinen Beitrag dazu leisten wollte, dass der Sentiero della Pace nicht von den Alpenkarten verschwindet. Deshalb habe ich für den Rother Bergverlag einen Wanderführer geschrieben.

Im Buch sind ausführlich die 45 Etappen vom Stilfser Joch bis nach Sexten beschrieben, inklusive Informationen zu Anforderungen, Übernachtungsmöglichkeiten und den Highlights.

Ein persönliches Anliegen war mir, Tipps zum Wandern mit Hund zu geben und sinnvolle Vorschläge zu machen, welche Etappen sich als Tageswanderungen oder mehrtägige Hüttentouren für jeden Schwierigkeitsgrad anbieten. Und nicht zuletzt habe ich versucht, Einblicke in einen unbegreiflichen Krieg inmitten der Alpen zu geben, denn der Gebirgskrieg schrieb die Geschichten vieler spektakulärer Geschehnisse. 

Informationen zum Buch

Der Wanderführer “Sentiero della Pace – Auf dem Friedensweg vom Vinschgau in die Dolomiten” von Romy Probst ist im Rother Wanderführer Verlag erschienen. Das Buch ist im Fachhandel und u.a. bei Amazon erhältlich.

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