Piz Lischana – Lange Tour ohne Gipfel?

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Der Piz Lischana überragt mit seinen über 3100 Metern das Städtchen Scuol im Unterengadin und ist der höchste Gipfel in der Lischana Gruppe. Doch fehlt am Ende des Aufstiegs nicht etwas Entscheidendes?

Piz Lischana - Lange Tour ohne Gipfel? © Gipfelfieber.com
Piz Lischana – Lange Tour ohne Gipfel? © Gipfelfieber.com

Fünf Tage reisten wir durch das schöne Unterengadin im Schweizer Kanton Graubünden und wanderten dabei unter anderem durch den Schweizerischen Nationalpark.* Aber ein richtiger Gipfel kam dabei leider nicht herum. Also hieß es nach dem Abschiednehmen noch eine Nacht dran zu hängen, um am kommenden Tag den Piz Lischana zu besteigen.

Start in Scuol

An einem Freitagnachmittag bei bestem Bergwetter und auch bester Vorhersage geht es erst über den Inn und über eine schmale Straße hinauf nach Scuol San Jon. Überrascht bin ich, dass hier nur ein anderes Auto steht. Da man in der Schweiz aber nahezu überall auch mit dem Bus hinkommt, wundere ich mich nicht weiter und starte meinen Aufstieg zum Lischanahaus.

Der Weg geht hier idyllisch durch den Wald, der sich nach etwa einer Stunde lichtet. Der Bergbach, der neben mir schon die ganze Zeit gen Tal gerauscht ist, kommt in dem steiler werdenden Gelände hier in herrlichen Wasserfällen hinab.

Fortan wird der Weg nie wirklich schwierig, aber der lange Vorabend bzw. der folgenschwere Besuch der Hotelbar hängt mir noch gewaltig nach und so bin ich recht langsam unterwegs. Nicht weiter schlimm, so bleibt genug Zeit, das Drumherum zu genießen. Steinböcke lassen sich nicht blicken, dafür Murmeltiere über Murmeltiere, die mich mal ignorieren und mal grell pfeifend Warnrufe hinausschmettern.

Die Lischanahütte

Nachdem die Latschen schon eine Weile verlassen sind, sieht man noch etwa 200 Höhenmeter oberhalb eindrucksvoll das Lischanahaus auf einem Vorsprung stehen. Hierhin braucht es nun noch etwa 20 bis 25 Minuten und beim Betreten der Gaststube bin ich wieder überrascht, erstmal auf niemanden zu treffen. Beim Gang auf die Terrasse treffe ich aber immerhin auf eine Bedienung und kann mir anschließend meinen Schlafplatz frei aussuchen; ich bin nämlich der einzige Gast. Und das Anfang Juni, kurz vor Beginn der Feriensaison.

Die Chamonna Lischana wurde im Jahr 2003 aufwändig saniert und erweitert. Seitdem bietet sie Platz für 49 Personen. Wer friert und freie Zimmerwahl hat, kann sich einen Schlafplatz direkt neben dem Warmwasserboiler sichern, schließlich kann es auf 2500 Metern auch im Hochsommer empfindlich kalt werden. Der Gastraum ist in den Schließzeiten der Lischanahütte zudem als Winterraum benutzbar.




Vor dem Abendessen nehme ich mir noch kurz Zeit und gehe auf den kleinen Hügel hinter der Lischanahütte, wo die Hüttenwirte sogar ein kleines Beet angelegt haben. Von hier oben habe ich eine bombastische Sicht in das Tal, wo sich bis ins letzte Jahrhundert ein Gletscher erstreckte, von dem allerdings nur noch zwei Überbleibsel existieren.

Beim Abendessen schaue ich immer wieder Richtung Scuol und hoffe doch noch Steinböcke zu Gesicht zu bekommen. Und tatsächlich: Nach kurzer Zeit entdecke ich an der Westflanke vom Piz Lischana unterhalb der Hütte einen einzelnen Steinbock, der in irrwitzigen Pirouetten nach unten rennt.

Im Nordwesten geht hinter der Silvrettagruppe spektakulär die Sonne unter und nach einem langen und guten Gespräch mit dem Wirt Heinz verabschiede ich mich ins Nachtlager und schlafe, anders als bei der Nacht im Watzmannhaus, hervorragend.

Aufstieg zum Piz Lischana

Am nächsten Morgen geht es recht früh los. Lang geht es über Geröll in das weite Plateau, über das sich einst der Gletscher erstreckte. Die Ausblicke sind schon hier atemberaubend und selbst mein neues Weitwinkelobjektiv schafft es nicht, das vernünftig aufs Bild zu bekommen. Ein kurzes Schneefeld wird gequert, Probleme bleiben aber aus.

Den Steinmännern und Markierungen folgend windet sich der Steig nun nach links und hier muss ein größeres Schneefeld gequert werden. Das ist nicht steil und so auch nicht schwierig zu überwinden und nach etwa 1,5 Stunden nach dem Aufbruch von der Hütte erreicht man das Fuorcla da Rims.

Von hier geht es unmarkiert weiter bis auf einen unbenannten Gipfel (3044 m), aber der Steig ist nicht zu verfehlen. Von dort ist der Weiterweg dann auch klar. Über den Gratverlauf führt er unschwierig bis an den Fuß des Gipfelaufbaus des Piz Lischana. Im Sommer ist das nicht weiter schwierig, mit Restschnee allerdings schon etwas anspruchsvoller. Trittsicher muss man hier in jedem Fall sein, denn rechts geht es steil hinab.

Am letzten Gipfelfuß angekommen, heißt es nun zwingend den Markierungen zu folgen. Der Steig besteht hier fast ausschließlich aus losem Schutt und macht nicht den rutschfestesten Eindruck. Nach ziemlich genau zwei Stunden nach dem Aufbruch von der Hütte stehe ich ganz oben.

Der neue Gipfel und der Gipfelsturz

Zumindest stehe ich fast ganz oben. Denn der wirkliche Gipfelbereich ist gesperrt. Im Jahr 2011 gab es dort einen gewaltigen Felssturz, bei dem über 2000 Kubikmeter Fels einfach abbrachen. Dabei ist zwar niemandem etwas passiert, einer Familie gelang es jedoch, das Ereignis zu filmen, nachdem sie kurz vorher noch auf dem Gipfel verweilten. Das Ergebnis sieht so aus und zeigt, welche Urgewalten in den vermeintlich beherrschten Bergen noch immer herrschen:

Da nach geologischen Untersuchungen weitere Felsabbrüche drohen, wurde der gefährdete Bereich nun abgesperrt. Der neue “Gipfel” ist zwar nicht der höchste Punkt des Piz Lischana und liegt etwa zwei Meter unterhalb des eigentlichen Gipfels (3108 m), aber das muss als Gipfelerfolg ausreichen, um sich nicht selber zu gefährden.

Der Abstieg

Schuttkar für den Abstieg © Gipfelfieber.com
Schuttkar für den Abstieg © Gipfelfieber.com

Nach ausgiebiger Pause geht es kurz über den Schotterweg zurück an den Gipfelfuß und weiter in Richtung des Grats. Bald bietet sich die Möglichkeit rechts in ein steiles Kar direkt zur Hütte abzusteigen, ohne auf dem weiten Weg wieder über das Plateau zurück zu gehen. Da der Wirt der Lischanahütte mir den Weg empfohlen hat, nehme ich den.

Anfangs braucht es ein bisschen Mut, sich in dem steilen Schotter und Geröll mit Geschwindigkeit und Rutschen hinab zu bewegen. Nach kurzer Zeit schon macht es einfach nur tierisch Spaß und ich bringe die 600 Höhenmeter vom Gipfel des Piz Lischana zur Hütte in nur 20 Minuten hinter mich. Nach kurzer Pause geht es über den Anstiegsweg schnellen Schrittes zurück zum Parkplatz.

Alternativ ist auch ein Abstieg über das Val d`Uina gut machbar. Die bietet die Durchquerung einer tollen Schlucht. Am Ende steht allerdings noch ein langer Hatscher zurück zum Startpunkt.

Fazit

Die Tour auf den Piz Lischana ist ein eher einfach zu besteigender Dreitausender, allerdings auf dem letzten Stück auch nicht zu unterschätzen. Als Eintagestour ist sie auch denkbar, dann aber doch recht lang. Und man entginge so der Nacht in der lohnenswerten Lischanahütte, die in der Hauptsaison aber deutlich voller sein dürfte. Für Einsamkeitsliebhaber bleibt aber noch die Zeit davor und danach, weshalb der Piz Lischana eine absolute Empfehlung wert sein dürfte.

*Ich wurde von Graubünden Ferien zu der Reise eingeladen und auch die Kosten für die Hüttenübernachtung wurden übernommen. Hat das die Tour besser gemacht? Sicher nicht!


4 Kommentare

  1. Eindrückliche Geschichte mit dem Gipfelsturz, und zeigt, dass man vor den Bergen kaum zu viel Respekt haben kann und auf alles gefasst sein muss… die Frau sagt im Video, dass sie den Spalt gesehen habe, als sie oben standen. Und dann haben sie offensichtlich sehr wach reagiert und sich grad noch rechtzeitig in Sicherheit begeben.
    Ansonsten kenne ich die Gegend um Scuol nur aus der Kindheit vom Skiurlaub. Nun kriege ich Lust, wieder mal hinzufahren – in der Wandersaison;)

    • Absolut, den Respekt darf man nie ablegen. Es gibt auch noch ein ausführlicheres Video der Familie. Sie haben auf dem Gipfel schon festgestellt, dass es auf der betroffenen Seite die ganze Zeit kleine Brocken gab, die herunterfielen. Richtige Entscheidung war`s jedenfalls, dort schnell zu verschwinden.
      Und ja: Graubünden lohnt sich auf jeden Fall!

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