Ein ständiger Begleiter auf Hochtouren: Die Angst vor dem Sturz in eine Gletscherspalte. Simon ist genau das passiert. So fühlt es sich an.
Es ist der dritte Anlauf, endlich auf der Wildspitze, Österreichs zweithöchstem Berg nach dem Großglockner, zu stehen. Nachdem in den beiden Vorjahren jeweils auf Grund des schlechten Wetters umgedreht werden musste, sich wenigstens einmal eine gute Alternative bot, gab es nun den nächsten Abbruch. Diesmal aber aus anderen Gründen. Nämlich einem Sturz in eine Gletscherspalte auf dem Taschachferner. Aus der ich aber praktisch unbeschadet entkommen konnte.
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Unten in der Gletscherspalte
Keine Kontrolle, keine Chance zu reagieren, einfach ein Schritt ins Leere. Der aufgeweichte Firn wollte mich nicht mehr tragen. Das Seil ist gespannt, ich bin nass von oben bis unten und kalt ist es auch. Ich liege auf dem Rücken, die Beine erhöht, der Oberkörper etwas tiefer, bündig im Eis. Konzentration. Aufstehen wäre gut. Keine Chance, der Rucksack klemmt fest im Eis. Die Schultern sind auch bündig am Eis. Panik kommt hoch, von oben höre ich rein gar nichts. Dann kommt die Konzentration wieder, ich öffne die Schließen der Schultergurte ganz und kann mich so vom Rucksack befreien. Endlich aufstehen, weg vom Eis.
Woher kommt das Blut am Eis? Spüren tu ich nichts. Auf einmal höre ich meinen Bergführer Michael von oben. Es geht mir gut, nichts hängt komisch weg. Schmerzen habe ich keine. Die Ruhe kommt wieder. Während Michael oben vorbereitet, packe ich Jacke, Handschuhe und Steigeisen aus, packe den Rucksack wieder und mache ihn für den Abtransport nach oben fertig.
In einem irrsinnigen Akt lege ich die Steigeisen in der unten vielleicht 60 Zentimeter breiten Spalte an, um nicht wie ein nasser Sack am Seil zu hängen. Dann geht alles fix. Der Rucksack wandert per Seil nach oben, dann kommt mein Rettungsseil nach unten. Ich hänge mich ein, aber halt, was ist das? Ich schaue mir den Schnee unter mir genauer an und finde die Trinkflasche meiner Kollegin die in der Seilschaft vor uns in eben dieser Spalte eingebrochen ist. Trotz Nimm’s mit-Aktion lasse ich sie unten, zu unerreichbar scheint sie, man möge es mir verzeihen. Am Fixseil klettere ich jetzt nach oben, während Michael von oben zieht. Oben angekommen, tut die Sonne gut. Alles gut gegangen, Gott sei’s gedankt. Außer ein paar Prellungen ist mir nichts geschehen und das bei einem fast ungebremsten Sturz in circa sechs Meter Tiefe.
Auf die Wildspitze
Dabei begann der dritte Anlauf auf die Wildspitze ganz gut… Wie im Vorjahr betrügen wir ein bisschen und fahren mit der Gletscherbahn im Handumdrehen auf 2840 Meter. Mit Gegenanstiegen kommen dann aber trotzdem nochmal 1000 Höhenmeter auf uns zu, fast ausschließlich auf Schnee und Eis.
Oben ausgestiegen, haben wir fast Kaiserwetter mit ein paar Wölkchen am Himmel, die sich locker um die Gipfel winden. Für den frühen Nachmittag sind Gewitter angedroht und so starten wir ohne Verzögerung Richtung Mittelberg Joch auf 3166 m. Nachdem Abstieg vom Joch auf den Taschachferner teilen wir uns in drei Seilschaften auf.
Eine steigt wieder direkt über den Taschachferner zum Taschachhaus ab, die anderen zwei starten etwas zeitversetzt Richtung Wildspitze. Mit ungefähr 20 Minuten Abstand zur ersten Seilschaft, beobachten wir aus weiter Entfernung den Spaltensturz einer Kollegin und die folgende Rettungsaktion. Ihr ist nichts passiert und so setzt die Seilschaft ihren Weg Richtung Gipfel fort. Die Situation am Gletscher ist schwierig, da doch noch eine dünne Schneedecke liegt, die aber in der warmen Sommersonne ziemlich weich ist und damit kaum noch über die Spalten trägt. Wir nähern uns der Spalte, in der vor wenigen Minuten unsere Kollegin verschwunden ist und wählen eine schmale Stelle links, an der noch deutlich die Spuren unsrer Vorgänger zu sehen sind, die die Absturzstelle umgangen haben. Unser Bergführer Michael macht einen beherzten Schritt über die Spalte und dann komme ich, stelle meinen Fuß genau in seine Spur und der Rest ist ja bekannt.
Was man bei einem Sturz in eine Gletscherspalte tun kann?
Was man tun kann, wenn man in eine Gletscherspalte einbricht? Nichts. Die ganzen Tipps wie „nach vorn wegspringen“, „einen beherzten Schritt machen“ und so weiter sind einfach völlig unrealistisch. Man plant ja nicht, dass man einbricht, der Boden ist einfach unter den Füßen verschwunden, da kann man sich auch nirgends mehr abstoßen. Am besten lässt man auch die Arme am Körper und unterdrückt den Instinkt, sich irgendwo festhalten zu müssen. Mir schmerzen jetzt nach einem Monat noch immer beide Schultern. Vorsicht ist das Einzige, was einen rettet und die leidet oft unter dem Faktor Zeit. Grundsätzlich gilt aber, je größer die Seilschaft, umso sicherer. Zwei sind schneller weg als vier oder fünf und zudem tun sich mehr Leute bei der Rettung dann auch wesentlich leichter (dass das in anderen Situationen wie zum Beispiel auf sehr steilem Blankeis anders sein kann, soll hier außen vor bleiben).
Nie wieder Hochtour?
Wer jetzt meint, das wäre meine letzte Tour am Gletscher gewesen, der täuscht sich. Das Risiko muss einem stets bewusst sein, wenn man das richtige Bewusstsein für die Berge hat. Beim nächsten Mal werde ich vorsichtiger sein, gut vorbereitet und wieder im Glauben auf den Berg gehen, dass ich gesund nach Hause komme.
Hi Simon,
gut, dass es so glimpflich abgelaufen ist. War sicher ein richtiger Schock in dem Moment. Aber trotzdem, sehr spannend zu lesen.
Hoffe, es war der letzte Besuch in einer Gletscherspalte. Muss man nicht jeden Tag haben.
Viele Grüße
Florian