Eine der beliebtesten Traditionen im Alpenraum ist das alljährliche Heimkehren der Kühe von den Almen. Der Almabtrieb vom Geigelstein hinab nach Sachrang einmal aus nächster Nähe.
Die Sonne ist längst untergegangen und im schalen Licht des Wohnzimmers vom Hamberger Hof im Priental ist trotzdem noch keine Ruhe eingekehrt. Es ist Anfang September als viele fleißige Hände einmal mehr einen Abend damit befasst sind, den Almabtrieb in ein paar Wochen vorzubereiten. Vorausgesetzt bis dahin passiert nichts. Sonst wäre die ganze Arbeit für die Katz.
Denn so ist es Tradition von Ort zu Ort, von Tal zu Tal: Verunglückt eine Kuh im Sommer auf der Alm und kehrt nicht gesund nach Hause zurück, wird beim Almabtrieb auf den traditionellen Schmuck verzichtet. Schließlich gibt es dann nichts zu feiern.
Knapp drei Wochen später sieht es gut aus. Nur noch zwei Tage sind es bis zum Almabtrieb von der Sulzlingalm, die malerisch unterhalb des Geigelsteins in den Chiemgauer Alpen liegt und auf ihre verdiente Winterruhe wartet, als wir den fertigen Schmuck für den großen Tag vorbereiten. Die Kühe hingegen ahnen noch nichts und grasen friedlich in der warmen Herbstsonne.
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Almabtrieb am Geigelstein
Wieder zwei Tage später sind am frühen Morgen beinahe zwanzig Helfer zusammen gekommen, die beim besten Ausblick auf Großglockner und Kaisergebirge erst einmal frühstücken, um gestärkt den anstrengenden Almabtrieb hinunter ins Bergsteigerdorf Sachrang zu bewältigen. Eine letzte Lagebesprechung und flinken Schrittes verteilen sich die Treiber rund um die Herde.
In kleinen Gruppen erhalten die Kühe ihren verdienten Schmuck, scheinen teilweise davon aber nur wenig begeistert zu sein. Eine knappe Stunde dauert das Verzieren der Tiere bis der Abmarsch zurück in die Winterquartiere beginnt. Wenig zimperlich darf sein, wer zwischen den zusammen getriebenen Kolossen nicht zerquetscht werden will.
Hinab ins Bergsteigerdorf Sachrang
Wenig zimperlich heißt es auch, beim eigentlichen Abtrieb zu sein. Kaum nehmen die ersten Kühe Tempo auf, rauschen die anderen hinterher. Jeder noch so kleine Ausweg auf eine saftige Wiese muss von den Treibern verhindert werden, was natürlich nicht immer gelingt. Immer wieder müssen einzelne Kühe wieder zurück zur Herde getrieben werden. Berührungsängste mit den kräftigen Tieren sind fehl am Platze. Eine Arbeit, die den Schweiß in Strömen fließen lässt.
Und so geht es erst im Trab und später gemütlicher auf dem breiten Forstweg immer weiter dem Tal entgegen. Nicht ganz ohne Verluste: Eine gequetschte Hand hier, eine Schürfwunde da sind bei den Helfern Gang und Gebe. Und auch bei Kuh Michi gibt es Verluste: Verärgert über seinen Kopfschmuck, den größten und prächtigsten, streift er so lange Büsche und Bäume am Wegesrand bis dieser sich verselbständigt und schließlich nur noch kleine Zweiglein vom einst üppigen Schmuck übrig sind.
Knapp anderthalb Stunden nach dem Abmarsch von der Alm ist es schon geschafft und Almbauern und wir Treiber erreichen das Bergsteigerdorf. Eine jubelnde Menge nimmt die Tiere in Empfang, die glücklich über die große Wiese mit frischen Gräsern sind, während sich der Rest der Gefolgschaft bei einem kühlen Bier von den Strapazen erholt und froh ist, dass alle Tiere erfolgreich und gesund heimgekehrt sind.
Sehr schön geschrieben. Diese Tradition fasziniert mich immer wieder.
Ich möchte so gern auch mal dabei sein.
[…] September abgetrieben. Unweit des Geigelsteins werden die Tiere erst geschmückt, bevor es auf den langen Marsch zurück ins Tal geht. Etwa zur Mittagszeit werden die Tiere im Tal zusammen mit den Bauern und Treibern erwartet. […]