Der Horror jedes Bergsteigers: Die Kontrolle verlieren und abstürzen. Wie es sich anfühlt und wie daraus trotzdem das schönste Weihnachten wurde. Mein Beitrag zum Outdooradvent 2017.
Schmerzen.
Tränen.
Wenige Momente nach denen ich zurück am Wohnmobil bin, brechen sie heraus. Meine Freundin umarmt, bahnen sich die Gefühle ihren Lauf und kullern in Form von Tränen über die Wangen. Spätestens hier wird mir klar: Eben hab ich richtig richtig viel Glück gehabt.
Inhaltsverzeichnis
Was ist überhaupt passiert?
Es sollte der erste Urlaub zu dritt werden. Es ist Mitte Oktober. Wir fahren mit dem Wohnmobil zum Pragser Wildsee. Dort am nächsten Tag weiter zu den Drei Zinnen und der Auronzohütte, später gen Sardinien und Mittelmeer. Ein Herbst wie aus dem Bilderbuch kündigt sich an. So der Plan. Doch jäh am zweiten Tag endet der Ausflug noch bevor er richtig begonnen hat.
Der Absturz
Die Sonne senkt sich langsam zum Horizont. Ein Foto-Spot mit den in grelles Orangerot getauchten Drei Zinnen muss her. Weltberühmt sind sie, ihrer Schönheit tut das keinen Abbruch.
Eine kurze zu überwindende Kletterpassage, die nicht sonderlich schwer ausschaut. Kein großes Problem, denke ich, prüfe trotzdem jeden Stein ob seiner Festigkeit. Alles gut, so mein Empfinden und im Moment des Zugreifens löst er sich doch.
Abwärts. So fühlt sich das also an, schießt es mir in den Sinn. War es das jetzt? Ich sehe meine taumelnden Beine und Füße und bevor ich weitere Gedanken fassen kann, pralle ich auf.
Sicher! Ich lebe!
Ähnlich wie im Flugzeug Cockpit fängt das Gehirn an, eine Checkliste abzuarbeiten. Von wichtig zu unwichtig. Von oben nach unten.
Da ist Blut. Nur eine kleine Wunde am Finger. Kratzer an den Beinen. Nicht so schlimm. Stechender Schmerz aus dem linken Fuß. Vielleicht gebrochen? Sonst scheint alles heil, nur ein Objektiv hat den Sturz nicht überlebt.
Adrenalin. Im Rausch der freigesetzten Energie fasse ich Mut, versuche vorwärts zu kommen. Es geht, nur der Fuß ist extrem instabil. Konzentration bei jedem Schritt. Das Wohnmobil ist in Sichtweite. Und doch dauert es 40 Minuten bis ich zurück bin und sich nicht nur die Tränen Bahn brechen, sondern auch die Schmerzen.
Drei bis vier Meter waren es am Ende “nur”. Nicht auszumalen, wäre ich nicht mit den Füßen aufgekommen. Oder wäre der fatale Moment an einer anderen Stelle passiert. Glück gehabt. Richtig viel Glück gehabt.
Die Diagnose
Der Urlaub ist vorbei. Das Röntgen offenbart keine Brüche. Aber gerissene Bänder sind offenkundig. Wenige Tage später folgt im MRT die Gewissheit. Alle Außenbänder und ein Innenband sind gerissen. Die Peronealsehne luxiert. Eine Operation ist unausweichlich. Alles reparabel.
Vorweihnachtszeit mal anders
Fünf Zentimeter Muskelmasse sind innerhalb kürzester Zeit verschwunden. Die linke Wade gleicht der von Thomas Müller. Und doch reift noch vor der Operation Anfang November ein Gedanke in mir. Zurückkommen und 2017 noch zu einem letzten Gipfelkreuz steigen.
Die Operation verläuft wie geplant. Nach fünf Tagen werde ich entlassen. Und kann Zuhause trotzdem nur wenig tun. Die Wunden heilen zusehends. Dank der Physiotherapie mache ich schnell Fortschritte. Und schaue doch mit einem weinenden Auge nach draußen, wo Neuschnee um Neuschnee fällt und bevor der Winter überhaupt richtig da ist, traumhafte Tourentage locken während ich mich auf dem Ergometer abstrampele.
Wie 2017 zum schönsten Weihnachten wird
Weihnachten steht vor der Tür und mit jedem Tag wird es besser. Wird es mit meinem persönlichen Ziel, noch ein Gipfelkreuz zu erklimmen, klappen? Einen Tag vor Weihnachten wage ich es. Exakt 501 Höhenmeter trennen mich vom Gipfelkreuz der Karspitze, einem Gipfelchen in den Chiemgauer Alpen, meine Laufstrecke und mein liebster Hausberg. Knapp 1,5 Stunden wühle ich mich durch den Schnee und kämpfe mich nach oben. Der Fuß hält. Es ist vollbracht.
Und doch ist es nicht der persönliche Erfolg, der Weihnachten 2017 so schön macht.
Es sind die Kinderaugen, die zum ersten Mal einen Weihnachtsbaum sehen. Das Lächeln, das mich jeden Morgen aufs Neue anstrahlt. Die kleinen Hände, die nach allem greifen, was erreichbar scheint. Der weit geöffnete Mund mit seinen zwei Zähnen, der alles verschlingen möchte. Mein größtes Glück 2017, mit dem kein noch so schöner Berg und hoher Gipfel mithalten kann.
Und die Moral von der Geschicht
Kann ich aus dem Geschehenen wirklich eine Lehre ziehen? Kann ich jemals wieder schwierige Passagen bewerkstelligen? Ja, ich kann und ja, ich werde. Ein gewisses Restrisiko gibt es eben immer. Ob in den Bergen beim Wandern. Oder Zuhause beim Gang in den Keller. Oder auf der Straße im Auto oder zu Fuß.
Nur wenn das Bauchgefühl sagt “Lass das mal”, dann ist der richtige Moment gekommen, umzukehren. Denn der Bauch hat immer recht und hätte mich auch hiervor bewahrt.
Frohes Fest
Mit dieser Erkenntnis wünschen wir und speziell ich allen Lesern, Kommentatoren, Fans und Followern ein paar besinnliche Feiertage und ein frohes Fest, um zur Ruhe zu kommen und mit den Liebsten beisammen zu sein. Immer mit dem Bewusstsein, dass das nicht alles selbstverständlich ist.
Das war der Outdooradvent 2017
Alle Kalendertürchen zum Outdooradvent 2017 in der Übersicht:
- Der Kick-Off
- zhangschmidt.com
- aufunab.eu
- hikinginfinland.com
- schöne-aussicht.de
- taundma.de
- bigvantheory.com
- kulturnatur.de
- dasistdochwahnsinn.com
- wohlgeraten.de & phototravellers.de
- hiking-blog.de & expeditionleben.de
- outdoorfamilienglueck.wordpress.com
- lebedraussen.de
- auf-den-berg.de
- abenteuersuechtig.de
- hurra-draussen.de
- patotra.com
- trekkinglife.de
- zufussunterwegs.com
- outdoor-spirit.de
- outsideandventure.wordpress.com
- schratundfee.de
- goetznitsche.de
Wow, danke für das Teilen dieses schmerzhaften Moments, der ja geistig noch immer anhält.
Ein wenig schade ist es schon, dass wir meist solch ein Erlebnis “brauchen” um mal wieder daran erinnert zu werden was wirklich wichtig ist im Leben und wie absurd die Einstellung ist, unser Leben und alles um uns herum als selbstverständlich anzusehen.
Ich kann es Dir gut nachfühlen, wie Du sehnsüchtig am Fenster stehst und Dich nach draußen bzw. oben sehnst. Ich hab seit mehr als einem halben Jahr so fiese Knieprobleme, dass ich selbst beim Treppensteigen die Zähne zusammenbeißen muss und auch diese öden Fitnessstudio-Reha-Stunden erdulden muss anstatt an der frischen Luft mit lieben Menschen Neues zu entdecken. Aber es geht voran, wenn auch in homöopathischen Schritten, und vielleicht sehen wir uns ja nächsten Jahr mal wieder am Berg.
ich wünsche Dir und Deiner kleinen Familie ein wundervolles Fest und noch gute Restgenesung!
liebe Grüße,
Christiane
Aus solchen Dingen heraus wurde mein Blog zum #SichZuhauseMachen-Blog.
Klar denken wir darüber nicht nach, wo und wie wir leben, wenn wir es nicht müssen – aber es würde uns eben gut tun, dies doch öfter mal zu tun und aus der Oberflächlichkeit des Alltagstrotts hinauszukommen.
Damit wir keine solchen Unfälle brauchen, um uns daran zu erinnern, was wichtig ist. Damit wir schätzen können, was wir haben und dahin arbeiten können und wollen, die Dinge besser zu machen.
Damit man sich dann bei den kleinen Unangenehmheiten im Alltag auch mal daran erinnert, was alles noch viel unangenehmer sein könnte und man nicht – wie es ja gerade zu Weihnachten berüchtigt ist – wegen eigentlich total unwichtigen Dingen herumstreitet während man doch eigentlich an einer Festtafel sitzt.
In dem (typisch langen, sorry) Sinne: Schöne Weihnachten, besinnliche Festtage – und ein neues Jahr mit der richtigen Dosis an Gipfelfieber-Erfolgen und sicherem Heimkommen!