Chinas heiliger Berg Tai`Shan – Dem Himmel so nahe

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Der Tai`Shan ist einer der fünf heiligen Berge Chinas und zugleich der heiligste. Nebenbei auch der wohl meist bestiegene Berg der Welt. Über 6000 Stufen führen auf seinen Gipfel. Und auch zur Erleuchtung? 

Chinas heiliger Berg Tai`Shan - Dem Himmel so nahe © Gipfelfieber
Chinas heiliger Berg Tai`Shan – Dem Himmel so nahe © Gipfelfieber

Unweigerlich fange ich bei den ersten Stufen an, mitzuzählen. Eins, zwei, drei, vier, bald zehn, bald zwanzig, bald hundert und doch verzähle ich mich irgendwann und schenke dann doch den Reiseführern und Wikipedia mein Vertrauen. Über 6000 Stufen geht es hinauf, 6293 um genau zu sein. Und etwa 6 Millionen Wanderer, Pilgerer und Besucher gehen die jedes Jahr hinauf und machen den Tai`Shan zum wahrscheinlich meist bestiegenen Berg der Welt.




Shandong-Provinz im Osten Chinas

Aber von Beginn an: Wir sind schon seit ein paar Tagen in der Shandong-Provinz unterwegs und haben die Küstenstadt Qingdao, die einst deutsche Kolonialstadt und 2008 die olympischen Segelwettbewerbe beheimatete, erkundet. Bei einem Besuch in der Provinz südlich von Peking darf der Abstecher zum heiligsten Berg Chinas natürlich nicht fehlen.

Der Tai`Shan

Mit seinen gerade einmal 1.545 Metern zählt der Tai`Shan jetzt nicht unbedingt zu den höchsten Bergen Chinas, auch wenn er im Alten China als höchster Berg der Welt galt. Und doch pilgern die Menschen seit Jahrtausenden hierhin, 72 Kaiser Dynastien haben hier Zeremonien veranstaltet und Opfer für den Berg- und den Himmelsgott gebracht. Seine Lage als östlichster der fünf heiligen Berge Chinas, und damit dem Sonnenaufgang am nächsten, macht den Tai`Shan zum heiligsten der heiligen Berge des Daoismus.

Auf den heiligsten Berg Chinas

Zusammen mit Britta vom Looping-Magazin starte ich den Aufstieg am Fuß des Tai`Shan in der Stadt Tai`an. Die ist wie viele andere Städte Chinas erst in den letzten 20 Jahren richtig gewachsen und hat heute etwa 5,5 Mio. Einwohner. Schon früh am Morgen um kurz vor 7 Uhr drückt die Sonne so richtig und uns ist klar, was da heute noch auf uns zukommt. Um etwas Zeit zu sparen, entscheiden wir uns bis zur Seilbahnstation auf etwa der Hälfte der Strecke neben der Straße zu gehen.

Schon zur frühen Stunde kommen uns unzählige Menschen entgegen, die offenbar zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel waren oder das “heilige” Wasser des Berges in riesigen Kanistern ins Tal schleppen. Uns erwarten im Wald bald die ersten Stufen, die einen Vorgeschmack auf das bieten, was noch kommt. Zügig kommen wir voran, genießen zwischendrin die Ruhe des Waldes, erhaschen immer wieder einen Blick auf die Treppen, die noch vor uns liegen und naschen frisch vom Baum gefallene Aprikosen.

Stufe um Stufe

Mit der Ruhe ist es bald vorbei. Bis zur Mittelstation, wo auch die Seilbahn zum Gipfel auffährt, können Pilger die Strecke mit dem Bus abkürzen. Ein unglaubliches Gewusel, hunderte, nein tausende Menschen tummeln sich hier und teilen sich in Seilbahnfahrer und Zu-Fuß-Geher auf. Denn jetzt geht es erst richtig los.

Schmale Stufen, lange Stufen, breite Stufen, steile Stufen. Stufe um Stufe geht es hinauf. Die Sonne brennt nun unerbittlich und lässt jede Schweißpore im Körper unter Volllast arbeiten. 100 Stufen, 500 Stufen, 1000 Stufen, die immer wieder von Absätzen auf denen Händler Getränke, etwas zu essen, Gehstöcke und allerhand Plunder (natürlich hab ich welchen gekauft) anbieten, unterbrochen werden.

Geht so also Erleuchtung? Sicher bin ich mir da nicht. Vielmehr ist es eine Art Opfergabe und Selbstgeißelung, die man erbringt, wenn einem mit jeder Stufe mehr und mehr der Schmerz in die Waden fährt. Ein bisschen kommt es mir vor wie der Abstieg durch die 18 Ebenen der Hölle aus der chinesischen Mythologie. Aber das gehört dazu. Und im Angesicht der Träger, die unglaubliche Lasten auf ihren schmalen Schultern die Treppenstufen hinaufbringen, erscheint mir mein bisschen Qual und das Gezeter mit ihr geradezu lächerlich und unangebracht.

Nur noch tausend Stufen

Die Schatten spendenden Bäume lichten sich nun vollends. Wir durchschreiten ein weiteres Tor und haben den “Rest” nun richtig vor Augen. Immer steiler schlängelt sich die Treppe das schmale Tal hinauf zum Gipfel und beinahe mag sie an die Treppe, über die Gollum Frodo und Samweis nach Mordor führt, erinnern. Wie der Ringträger ergeben auch wir uns unserem Schicksal und nehmen die letzten tausend Stufen (plus X) in Angriff. Je näher das Tor zum Gipfel umso steiler wird die Treppe. Einen Fuß vor den anderen, nur kurze Durchschnaufpausen und dann ist es geschafft.

Zumindest fast. Bei einem der unzähligen Händler rund um die Schreine und Altare ergattern wir erstmal eine eiskalte Cola und pilgern dann mit den Heerscharen, die mit der Gondel aufgefahren sind, die letzten 400 Stufen und knapp 100 Höhenmeter bis zum eigentlichen Gipfel des Tai`Shan. Eine Tempelanlage nach der nächsten steht wie aufgereiht auf dem breiten Plateau und an riesigen Steinen neben dem Weg haben sich Künstler über die Jahrtausende mit Weisheiten, Sprüchen und Gedichten verewigt. Auch am Gipfel selbst steht ein Tempel mit einem hübsch bunten Altar und auch hier geht es zu wie am Sonntag Morgen auf dem Hamburger Fischmarkt. Diesig ist es und so bleibt uns ein richtiger Fernblick verwehrt.

Abstieg

Statt mit der wenig erleuchtenden Seilbahn zurück zur Mittelstation zu fahren, nehme ich wieder die Zu-Fuß-Variante und schlängle mich hochkonzentriert und schnellen Schrittes in Trailrunning-Manier zwischen hunderten Gipfelaspiranten hindurch nach unten. Der anschließende Muskelkater in den Oberschenkeln ist noch drei Tage mein treuer Begleiter und lässt mich den Tai`Shan so schnell nicht vergessen.

Und sonst?

Unten angekommen wartet noch ein Besuch in der Dai-Miao-Tempelanlage. Wer von Tempeln (und der Hitze) erst einmal genug hat, fährt in die etwa 20 Kilometer entfernte riesige Tropfsteinhöhle und erkundet die – kein Witz – per Schlauchboot.

Fazit

Der Tai`Shan hat etwas ganz Eigenes. Ruhe und Einsamkeit findet man am heiligsten Berg des Daoismus hier im Osten von China freilich nicht, aber das stille und monotone Treppensteigen hat beinahe etwas Spirituelles, das einen, trotz des Tohuwabohus um einen herum, ein bisschen zu sich selbst finden lässt. Und ist das nicht (auch) Ziel des Wanderns?

*China-Tours hat mich zu der Reise in die Shandong-Provinz eingeladen. Meine Meinung beeinflusst das selbstredend nicht. 


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